Die Sinne im Wortlaut Rudolf Steiners
Vortrag vom 23.Okt 1909 (GA 115) Anthroposophie
Ein Manuskript aus dem Nachlasss von 1910 (GA 45)
Vortrag vom 12.Aug 1916 (GA 206)
Tast
sinn
Tastsinn ist gewissermaßen derjenige Sinn, durch den der Mensch in ein Verhältnis zur materiellsten Art der Außenwelt tritt. Durch den Tastsinn stößt gewissermaßen der Mensch an die Außenwelt, fortwährend verkehrt der Mensch durch den Tastsinn in der gröbsten Weise mit der Außenwelt. Aber trotzdem spielt sich der Vorgang, der beim Tasten stattfindet, innerhalb der Haut des Menschen ab. Der Mensch stößt mit seiner Haut an den Gegenstand. Das, was sich abspielt, daß er eine Wahrnehmung hat von dem Gegenstand, an den er stößt, das geschieht selbstverständlich innerhalb der Haut, innerhalb des Leibes. Also der Prozeß, der Vorgang des Tastens geschieht innerhalb des Menschen.
Lebens
sinn
Der erste Sinn des Menschen, der in Betracht kommt, ist derjenige, den man in der Geisteswissenschaft nennen kann den Lebenssinn. Das ist ein wirklicher Sinn, und ebenso wie man vom Gesichtssinn spricht, hat man vom Lebenssinn zu sprechen. Was ist der Lebenssinn? Er ist etwas im Menschen, was er eigentlich, wenn alles in Ordnung ist, nicht fühlt, sondern nur dann fühlt, wenn etwas in ihm nicht in Ord­nung ist. Der Mensch fühlt Mattigkeit, die er wahrnimmt als ein inne­res Erlebnis, wie er eine Farbe wahrnimmt. Und das, was im Hunger­oder Durstgefühl zum Ausdruck kommt, oder was man ein besonde­res Kraftgefühl nennen kann, das müssen Sie auch innerlich wahr­nehmen wie eine Farbe oder einen Ton. Man nimmt dies in der Regel nur wahr, wenn irgend etwas nicht in Ordnung ist. Die erste mensch­liche Eigenwahrnehmung wird durch den Lebenssinn gegeben, durch den der Mensch als ein Ganzes sich seiner Körperlichkeit nach bewußt wird. Das ist der erste wirkliche Sinn, und er muß ebenso berücksichtigt werden wie der Gesichts- oder Gehörsinn oder der Geruchssinn. Niemand kann die Sinne verstehen, der nicht weiß, daß es eine Möglichkeit gibt, sich als ein Ganzes innerlich zu fühlen, sich als einer innerlich geschlossenen, körperlichen Gesamtheit bewußt zu werden. So angesehen, erscheint als der unbestimmteste, allgemeinste Sinn derjenige, welchen man Lebenssinn nennen kann. Der Mensch bemerkt das Dasein dieses Sinnes eigentlich nur dann recht, wenn durch ihn etwas wahrgenommen wird, was in der Leiblichkeit die Ordnung durchbricht. Der Mensch fühlt Mattigkeit, Ermüdung in sich. Er hört nicht die Ermüdung, die Mattigkeit; er riecht sie nicht; aber er nimmt sie in demselben Sinne wahr, wie er einen Geruch, einen Ton wahrnimmt. Solche Wahrnehmung, die sich auf die eigene Leiblichkeit bezieht, soll dem Lebenssinn zugeschrieben werden. Sie ist im Grunde beim wachenden Menschen immer vorhanden, wenn sie auch nur bei einer Störung recht bemerkbar wird. Durch sie empfindet sich der Mensch als ein den Raum erfüllendes, leibliches Selbst. Schon mehr innerhalb des menschlichen Organismus als der Vorgang des Tastsinns liegt dasjenige, was wir nennen können den Lebenssinn. Es ist ein Sinn innerhalb des Organismus, an den der Mensch sich heute kaum gewöhnt zu denken, weil dieser Lebenssinn, ich möchte sagen, dumpf im Organismus wirkt. Wenn irgend etwas im Organismus gestört ist, dann empfindet man die Störung. Aber jenes harmonische Zusammenwirken aller Organe, das sich in dem alltäglich und immer im Wachzustände vorhandenen Lebensgefühl, in dieser Lcbens-verfassung ausdrückt, das beachtet man gewöhnlich nicht, weil man es als sein gutes Recht fordert. Es ist dieses: sich mit einem gewissen Wohlgefühl durchdrungen wissen, mit dem Lebensgefühl. Man sucht, wenn das Lebensgefühl herabgedämpft ist, sich ein bißchen zu erholen, daß das Lebensgefühl wieder frischer wird. Diese Erfrischung und Herabdämpfung des Lebensgefühles, die spürt man, nur ist man im allgemeinen zu sehr an sein Lebensgefühl gewöhnt, als daß man es immer spüren würde. Aber es ist ein deutlicher Sinn vorhanden, der Lebenssinn, durch den wir das Lebende in uns geradeso fühlen, wie wir irgend etwas mit dem Auge sehen, was ringsherum ist. Wir fühlen uns mit dem Lebenssinn, wie wir mit dem Auge sehen. Wir wüßten nichts von unserem Lebensverlaufe, wenn wir nicht diesen inneren Lebenssinn hätten.
Bewegungs
sinn
Das zweite, was als ein Sinn von diesem Lebenssinn wieder ganz verschieden ist, das ist das, was Sie herausfinden können, wenn Sie irgendeines Ihrer Glieder bewegen. Sie bewegen Ihren Arm oder Ihr Bein. Sie würden kein menschliches Wesen sein, wenn Sie nicht Ihre eigenen Bewegungen wahrnehmen könnten. Eine Maschine nimmt ihre Eigenbewegung nicht wahr, das kann nur ein lebendiges Wesen, vermöge eines wirklichen Sinnes. Der Sinn dafür, was wir in uns selber bewegen, vom Augenzwinkern bis zur Bewegung der Beine, ist ein wirklicher zweiter Sinn, der Eigenbewegungssinn. Verschieden von diesem Sinn ist derjenige, durch welchen der Mensch zum Beispiel eine von ihm ausgeführte Bewegung wahrnimmt. Man bewegt ein Bein, und nimmt diese Bewegung wahr. Es soll der Sinn, durch den dieses geschieht, der Eigenbewegungssinn genannt werden. Der Unterschied dieses Sinnes gegenüber dem ersten ergibt sich, wenn man bedenkt, daß man durch Lebenssinn nur etwas wahrnimmt, was in der inneren Leiblichkeit vorhanden ist, ohne dass man selbst etwa tut. Der Eigenbewegungssinn nimmt solches wahr, wozu eine Tätigkeit, eine Regsamkeit vorausgesetzt ist. Schon noch mehr innerlich, körperlich-innerlich, leiblich-innerlich als der Lebenssinn ist das, was man nennen kann Bewegungssinn. Der Lebenssinn verspürt gewissermaßen den Gesamtzustand des Organismus als ein Wohlgefühl oder auch als ein Mißbehagen. Aber Bewegungssinn haben, heißt: Die Glieder unseres Organismus bewegen sich gegeneinander, und das können wir wahrnehmen. Hier meine ich nicht, wenn sich der ganze Mensch bewegt - das ist etwas anderes -, sondern wenn Sie einen Arm beugen, ein Bein beugen; wenn Sie sprechen, bewegt sich der Kehlkopf; das alles, dieses Wahrnehmen der innerlichen Bewegungen, der Lageveränderungen der einzelnen Glieder des Organismus, das nimmt man mit dem Bewegungssinn wahr.
Gleich
gewichts
sinn
Ein dritter Sinn wird uns bewußt werden, wenn wir daran denken. daß der Mensch unterscheidet zwischen oben und unten. Wenn er solches nicht mehr wahrnehmen kann, so ist das für ihn sehr gefähr­lich, er kann sich dann nicht mehr halten und sinkt um. Wir können hinweisen auf ein Organ, das viel mit diesem Sinn zu tun hat, nämlich auf die drei halbzirkelförmigen Kanäle im Ohr. Bei Verletzung dieses Organs verliert der Mensch seinen Orientierungssinn. Auch im Tier­reiche läßt sich dieser Sinn verfolgen. Da zeigt er sich als gewisse Gleichgewichtsorgane. Wenn da gewisse kleine, steinchenförmige Gebilde, die sogenannten Otolithen, in gewisser Weise an einem be­stimmten Orte liegen, so haben wir die Gleichgewichtslage, im ändern Falle nur ein Taumeln. Das ist der Gleichgewichts- oder der statische Sinn. Der dritte Sinn ergibt sich, wenn bemerkt wird, wie der Mensch sich gegenüber von oben und unten, rechts und links usw. in einer bestimmten Lage zu erhalten vermag. Man kann ihn den Gleichgewichts- oder statischen Sinn nennen. Seine Eigentümlichkeit ergibt sich, wenn man denkt, daß man eine Wahrnehmung der Lage haben muss, wenn man sich als bewußtes Wesen in ihr erhalten soll. Wirkt der Gleichgewichtssinn nicht, so befällt den Menschen Schwindel; er sinkt um. Ein nicht bewußter Gegenstand wird ohne Wahrnehmung seiner Lage in derselben halten. Ein solcher kann nicht von Schwindel befallen werden. Die Anthropologie weist auf ein kleines Organ im menschlichen Ohre hin, wenn sie von diesem Sinne spricht. Es sind da drei halbzirkelförmige Kanäle, die im sogenanten Labyrinthe des Ohres liegen. Werden diese verletzt, treten Schwindelzustände ein. Weiter müssen wir wahrnehmen dasjenige, was wir nennen können unser Gleichgewicht. Wir achten auch darauf eigentlich nicht. Wenn wir sogenannten Schwindel bekommen und umfallen, ohnmächtig werden, dann ist der Gleichgewichtssinn unterbrochen, genau ebenso, wie der Sehsinn unterbrochen ist, wenn wir die Augen zumachen. Ebenso wie wir unsere innere Lageveränderung wahrnehmen, so nehmen wir unser Gleichgewicht wahr, wenn wir einfach uns In ein Verhältnis bringen zu oben und unten, links und rechts, und uns so einordnen in die Welt, daß wir uns drinnen fühlen; daß wir fühlen, wir stehen jetzt aufrecht. Also dieses Gleichgewichtsgefühl wird wahrgenommen von uns durch den Gleichgewichtssinn. Der ist ein wirklicher Sinn.
Wenn man die Eigenheiten der drei aufgezählten überblickt, so wird man finden, daß der Mensch durch einen jeden derselben etwas wahrnimmt, was sich auf das eigene physische Dasein bezieht. Durch den Lebenssinn erlangt er allgemeine Empfindungen über seine Leiblichkeit; durch den Eigenbewegungssinn nimmt er Veränderungen an dieser seiner Leiblichkeit wahr; durch den Gleichgewichtssinn nimmt er sein Verhältnis zur räumlichen Außenwelt wahr. Er erhält diese Wahrnehmung jedoch so, daß sie ihm als ein Zustand der eigenen Leiblichkeit, als seine eigene Lageempfindung sich offenbart. - Der Mensch erlangt durch diese drei Sinne die Empfindung der eigenen Leiblichkeit als eines Ganzen, welche die Grundlage ist für sein Selbstbewußtsein als physisches Wesen. Man kann sagen, die Seele öffnet durch Lebenssinn, Eigenbewegungssinn und Gleichgewichtssinn ihre Tore gegenüber der eigenen Leiblichkeit und empfindet diese als die ihr zunächst stehende physische Außenwelt. Diese Sinne verlaufen in ihren Prozessen so, daß eigentlich alles innerhalb des Organismus bleibt, was vorgeht. Wenn Sie tasten, stoßen Sie zwar an den äußeren Gegenstand, aber Sie kommen nicht hinein in den äußeren Gegenstand. Wenn Sie an einer Nadel sich stoßen, so sagen Sie, die Nadel ist spitz, Sie kommen selbstverständlich nicht hinein in die Spitze, wenn Sie bloß tasten, sonst stechen Sie sich, aber das ist Ja nicht mehr Tasten. Aber alles das kann nur in Ihrem Organismus selbst vorgehen. Sie stoßen zwar an den Gegenstand, aber das, was Sie als Tastmensch erleben, vollzieht sich innerhalb der Grenzen Ihrer Haut. Also das ist leiblich-innerlich, was Sie da im Tastsinn erleben. Ebenso ist leiblich-innerlich, was Sie im Lebenssinn erleben. Sie erleben nicht, wie der Verlauf da oder dort ist, außer sich, sondern was in Ihnen ist. Ebenso im Bewegungssinn: nicht die Bewegung, daß man hin und her gehen kann, ist gemeint, sondern diejenigen Bewegungen, wenn ich an mir meine Glieder bewege, oder aber wenn ich spreche, also die innerlichen Bewegungen, die sind mit dem Bewegungssinn gemeint. Wenn ich außer mir mich bewege, bewege ich mich auch innerlich. Sie müssen da die zwei Dinge unterscheiden: meine Vorwärtsbewegung und die Lage der Glieder, das Innerliche. Der Bewegungssinn also wird innerlich wahrgenommen, wie der Lebenssinn und auch der Gleichgewichtssinn. Nichts nehmen Sie da äußerlich wahr, sondern Sie nehmen sich selbst in einem Gleichgewicht wahr.
Geruchs
sinn
Mit diesen Sinnen, die wir bis jetzt aufgezählt haben, nimmt der Mensch etwas in sich selber wahr, fühlt etwas in sich selber. Jetzt tre­ten wir heraus aus dem Menschen, wo er in Wechselwirkung zu treten beginnt mit der äußeren Welt. Das erste Wechselverhältnis mit der ' Welt ist dasjenige, wo der Mensch den Stoff mit sich vereinigt und diesen Stoff wahrnimmt. Dies kann man nur dann, wenn sich wirk­lich dieser Stoff mit dem menschlichen Leibe vereinigen läßt. Dies trifft nur für gasförmige Stoffe zu. Durch die Organe des Geruchssinnes werden solche aufgenommen. Da beginnt zuerst der Verkehr mit der Außenwelt. Ohne daß ein Körper gasförmige Stoffe aussendet, kann er nicht gerochen werden. Die Rose muß gasförmigen Stoff aus­senden, damit sie gerochen werden kann. Der vierte Sinn ist also der Geruchssinn. Mit den folgenden Sinnen tritt der Mensch der nicht in dieser Art zu ihm selbst gehörigen Außenwelt gegenüber. Der erste hier in Betracht kommende Sinn ist derjenige, durch welchen der Mensch mit dem, was man Stoff nennt, am nächsten in Berührung tritt. Eine nahe Berührung mit dem Stofflichen lassen nur gas- oder luftförmige Körper zu. Und diese wird durch den Geruchssinn vermittelt. Ohne daß ein Stoff in der feinsten Art zerteilt ist und so luftartig sich verbreitet, kann er nicht durch den Geruchssinn wahrgenommen werden. - Die nächste Stufe der Sinnesempfindung ist dann diejenige, durch welche nicht mehr bloß der Stoff als solcher, sondern Wirkungen (Taten) des Stofflichen wahrgenommen werden. Es geschieht dies durch den Geschmackssinn. Durch diesen Sinn kann nur ein wässeriger Körper wahrgenommen werden, oder ein solcher, welcher, um geschmeckt zu werden, in der Flüssigkeit des Mundes aufgelöst wird. Es dringt durch den Geschmackssinn der Mensch um einen Grad tiefer in die äußere Stofflichkeit ein als durch den Geruchssinn. Bei dem letzteren ist Stoff selbst, der an den Menschen herantritt und seiner Eigenart kundgibt; beim Geschmackssinn ist das, was empfunden wird, die Wirkung des Stoffes auf den Menschen. Jetzt gehen Sie zunächst aus sich heraus im Geruchssinn. Da kommen Sie schon in das Verhältnis zur Außenwelt. Aber Sie werden das Gefühl haben, daß Sie da im Geruchssinn noch wenig nach außen kommen. Sie erfahren wenig durch den Geruchssinn von der Außenwelt. Der Mensch will das auch gar nicht wissen, was man durch einen intimeren Geruchssinn von der Außenwelt erfahren kann. Der Hund will es schon mehr wissen. Es ist so, daß der Mensch die Außenwelt durch den Geruchssinn nur zunächst wahrnehmen will, aber wenig mit der Außenwelt in Berührung kommt. Es ist kein Sinn, durch den sich der Mensch so sehr tief mit der Außenwelt einlassen will.
Geschmacks
sinn
Der fünfte Sinn entsteht dann, wenn der Mensch nicht mehr bloß wahrnimmt die Stofflichkeit, sondern schon den ersten Schritt macht in die Stofflichkeit hinein, also in ein tieferes Verhältnis tritt zum Stoffe. Da muß der Stoff schon irgendeine Wirkung in ihm ausüben. Das ist dann der Fall, wenn ein wäßriger Körper an unsere Geschmacksorgane gelangt. Da nimmt man nicht direkt die Stofflichkeit wahr, sondern der Körper muß zuerst aufgelöst werden durch die Flüssigkeit des Mundes. Hier kann bloß ein Wechselverhältnis wahr­genommen werden zwischen der Zunge und dem Körper. Es sagen uns die Dinge nicht nur, was sie'sind als Stoff, sondern was sie bewir­ken können. Das Wechselverhältnis zwischen Mensch und Natur ist ein intimeres geworden. Das ist der fünfte Sinn, der Geschmackssinn. Man kann diesen Unterschied am besten durch empfinden, daß man sich vor Augen hält, wie Geruchssinn die gasförmige Art des Stoffes fertig an den Menschen herantreten muß, damit er sie, so wie sie ist, wahrnehmen kann; beim Geschmackssinn nimmt der Mensch durch seine eigene Flüssigkeit die Auflösung Stoffes, also eine Veränderung mit diesem vor, um in die Eigentümlichkeiten dieses Stoffes einzudringen, welche ihm dieser nicht von selbst offenbart. So ist der Geruchssinn geeignet, die Außenseite des Stofflichen zu empfinden der Geschmackssinn dringt schon mehr in das Innere der stofflichen Dinge. Und dieses Innere muß der Mensch erst dadurch zur Offenbarung veranlassen, daß er die Außenseite verändert.Sehsinn Schon mehr will sich der Mensch mit der Außenwelt einlassen im Geschmackssinn. Man erlebt das, was Eigenschaft ist des Zuckers, des Salzes, indem man es schmeckt, schon sehr innerlich. Das Äußere wird schon sehr innerlich, mehr als im Geruchssinn. Also es ist schon mehr Verhältnis zu Außenwelt und Innenwelt.
Sehsinn Der sechste Sinn ist der, wo das, was der Mensch an den Dingen wahrnimmt, noch intimer das Wesen der Dinge kundgibt. Die Dinge sagen hier dem Menschen mehr, als sie ihm bloß durch den Geschmackssinn sagen. Das geschieht nun so, daß besondere Vorkehrun­gen getroffen sind, damit die Dinge sich dem Menschen in ganz ge­wisser Weise ankündigen können. Beim Geruch nimmt der mensch­liche Leib die Dinge so, wie sie sind. Der Geschmackssinn ist schon komplizierter, dafür geben die Dinge hier schon etwas mehr von ihrer Innerlichkeit kund. Beim sechsten Sinn aber können wir unterschei­den, ob etwas Licht durchläßt oder nicht. Daß es in einer bestimmten Weise Licht durchläßt, zeigt sich darin, ob und wie es gefärbt ist. Ein Ding, welches das grüne Licht durchstrahlen läßt, zeigt damit, daß es eben gerade innerlich so ist, daß es dieses Licht durchstrahlen las­sen kann. Während die äußerste Oberfläche im Geruchssinne sich offenbart, wird schon etwas von der Innern Natur eines Dinges uns durch den Geschmackssinn bekannt; im Gesichtssinn hingegen wird etwas offenbar von dem Durch und Durch der Dinge. Dies ist das Wesen des sechsten Sinnes, des Gesichtssinnes. Das Auge ist deshalb ein so wunderbares Organ, weil es viel tiefer in die Natur der Dinge einzudringen gestattet als die eben besprochenen Sinnesorgane. Beim Gesichtssinn haben wir etwas sehr Eigentümliches. Wenn wir mit dem Auge zum Beispiel die Rose rot sehen, so kündigt sich ihr Inne­res durch die Oberfläche an. Wir sehen nur die Oberfläche, und weil sie bedingt ist durch das Innere, lernen wir durch sie dieses Innere bis zu einem gewissen Grade kennen. Noch tiefer in das Innere der physischen Außenwelt dringt der Mensch durch den nächsten Sinn. Es ist der Gesichtssinn. Ob der Mensch einen Körper rot oder blau sieht, das verrät ihm mehr von dem Innern dieses Körpers, als in der Wirkung enthalten ist, die durch den Geschmackssinn vermittelt wird. Es hängt von dem Wesen eines Körpers ab, ob er sich zu dem farblosen Sonnenlicht so verhält, daß er unter dem Einfluß desselben rot oder blau erscheint. - Die Farbe gibt sich als Oberfläche eines Körpers kund. Aber man kann sagen, wie da der Körper in seiner Oberfläche sich offenbart, das ist ein Zutagetreten seiner inneren Wesenheit durch das Mittel des Lichtes. Noch mehr ist es im Sehsinn, im Gesichtssinn. Sie nehmen viel mehr von den Eigenschaften der Außenwelt im Gesichtssinn herein als im Geschmackssinn. Und noch mehr nehmen Sie im Wärmesinn herein. Das, was Sie durch den Sehsinn, durch den Gesichtssinn wahrnehmen, bleibt Ihnen doch noch fremder, als was Sie durch den Wärmesinn wahrnehmen. Durch den Wärmesinn treten Sie eigentlich schon in ein sehr intimes Verhältnis zu der Außenwelt. Ob man einen Gegenstand als warm oder kalt empfindet, das erlebt man stark mit, und man erlebt es mit dem Gegenstande mit. Die Süßigkeit des Zuckers zum Beispiel erlebt man weniger mit dem Gegenstande mit. Denn schließlich kommt es Ihnen beim Zucker auf das an, was er durch Ihren Geschmack erst wird, weniger auf das, was da draußen ist. Beim Wärmesinn können Sie das nicht mehr unterscheiden. Da erleben Sie schon das Innere dessen, was Sie wahrnehmen, stark mit.
Wärmesinn Greifen wir ein Stück Eis oder ein Stück heißen Stahl mit der Hand an, so dringen wir noch tiefer in das Innere einer Sache ein. Bei der Farbe haben wir bloß das, was sich an der Oberfläche abspielt. Eis hingegen ist durch und durch kalt, und auch beim heißen Stahl geht die Wärme durch den ganzen Körper. Bei Wärme und Kälte haben wir also eine noch intimere Bekanntschaft mit der Natur der Dinge als beim Gesichtssinn, der uns nur über die Oberflächenbeschaffenheit aufklärt. Der Wärmesinn greift intimer in die Untergründe der Dinge. Solches wäre der Wärmsinn oder der siebente Sinn. Noch tiefer, gewissermaßen unter die Oberfläche der Körper, dringt der Wärmesinn. Befühlt man ein Stück Eis oder einen warmen Gegenstand, dann ist man sich darüber klar, daß die Kälte oder die Wärme etwas sind, was nicht nur an der Oberfläche nach außen erscheint wie die Farbe, sondern was den Körper ganz durchdringt. Man wird bemerken, wie die hier charakterisierte Stufenfolge der Sinne eine solche ist, daß der Mensch mit jedem folgenden tiefer untertaucht in das Innere der Körper der Außenwelt. Und noch mehr nehmen Sie im Wärmesinn herein. Das, was Sie durch den Sehsinn, durch den Gesichtssinn wahrnehmen, bleibt Ihnen doch noch fremder, als was Sie durch den Wärmesinn wahrnehmen. Durch den Wärmesinn treten Sie eigentlich schon in ein sehr intimes Verhältnis zu der Außenwelt. Ob man einen Gegenstand als warm oder kalt empfindet, das erlebt man stark mit, und man erlebt es mit dem Gegenstande mit. Die Süßigkeit des Zuckers zum Beispiel erlebt man weniger mit dem Gegenstande mit. Denn schließlich kommt es Ihnen beim Zucker auf das an, was er durch Ihren Geschmack erst wird, weniger auf das, was da draußen ist. Beim Wärmesinn können Sie das nicht mehr unterscheiden. Da erleben Sie schon das Innere dessen, was Sie wahrnehmen, stark mit.
Hörsinn Nun versuchen wir, wie die Sache sich weiter stellen wird. Kann der Mensch vermittels seiner Sinne noch tiefer in die Untergründe der Dinge gelangen? Kann er das intime Innere der Dinge noch genauer kennenlernen als durch den Wärmesinn? Ja, das kann er, indem die Dinge ihm zeigen, wie sie in ihrer Innerlichkeit sind, wenn sie zu tönen anfangen. Die Wärme ist in den Dingen ganz gleichmäßig ver­teilt. Was Ton in den Dingen ist, ist nicht gleichmäßig verteilt. Der Ton bringt die Innerlichkeit der Dinge zum Erzittern. Dadurch zeigt sich eine gewisse innere Beschaffenheit. Wie das Ding im Innern beweglich ist, nehmen Sie wahr durch den intimeren Gehörsinn. Er liefert uns eine intimere Kenntnis der Außenwelt als der Wärmesinn. Das ist der achte Sinn, der Gehörsinn. Im Ton offenbart uns ein Ding, wie es innerlich ist, wenn wir dieses Ding anschlagen. Wir unter­scheiden die Dinge nach ihrer inneren Natur, nach der Art, wie sie innerlich erzittern und erbeben können, wenn wir sie zum Tönen bringen. Die Seele der Dinge spricht in gewisser Weise da zu uns. Ein weiterer Fortschritt in diesem Untertauchen ist mit dem Gehörsinn gegeben. Er führt in weit höherem Grade in das Innere der Körper als der Wärmesinn. Der Ton bringt die Innerlichkeit der Körper ins Erzittern. Es ist mehr als ein bloßes Bild, wenn man davon spricht, daß die Seele eines Körpers durch den Ton zur Offenbarung gebracht wird. Durch die Wärme, die ein Körper in sich trägt, erfährt man etwas über seinen Unterschied gegenüber der Umgebung; durch den Ton tritt die Eigennatur, das Individuelle des Körpers nach außen und teilt sich der Empfindung mit. Noch intimer setzen Sie sich mit dem Inneren der Außenwelt durch den Gehörsinn in Beziehung. Der Ton verrät uns schon sehr viel von dem inneren Gefüge des Äußeren, viel mehr noch als die Wärme, und sehr viel mehr als der Gesichtssinn. Der Gesichtssinn gibt uns sozusagen nur Bilder von der Oberfläche. Der Hörsinn verrät uns, indem das Metall anfängt zu tönen, wie es in seinem eigenen Innern ist. Der Wärmesinn geht schon auch in das Innere hinein. Wenn ich irgend etwas, zum Beispiel ein Stück Eis anfasse, so bin ich überzeugt: Nicht bloß die Oberfläche ist kalt, sondern es ist durch und durch kalt. Wenn ich etwas anschaue, sehe ich nur die Farbe der Grenze, der Oberfläche; aber wenn ich etwas zum Tönen bringe, dann nehme ich gewissermaßen von dem Tönenden das Innere intim wahr.
Wortsinn Gibt es nun noch höhere Sinne als der Gehörsinn? Hier müssen wir noch viel behutsamer zu Werke gehen, um die höheren Sinne zu erforschen; denn wir dürfen die Sinne nicht mit etwas anderem verwechseln. Im gewöhnlichen Leben, da wo man unten stehenbleibt, wo man alles durcheinanderwirft, spricht man noch von ändern Sin­nen, zum Beispiel vom Nachahmungssinn, vom Verheimlichungs­sinn und so weiter. Da ist das Wort Sinn aber falsch angewendet. Sinn ist das, wodurch wir uns eine Erkenntnis verschaffen ohne Mit wirken des Verstandes. Wo wir uns durch das Urteil eine Erkenntnis verschaffen, da sprechen wir nicht von Sinn, sondern nur da, wo unsere Urteilsfähigkeit noch nicht in Kraft getreten ist. Nehmen Sie eine Farbe wahr, so gebrauchen Sie einen Sinn. Wollen Sie urteilen zwischen zwei Farben, so gebrauchen Sie keinen Sinn.Gibt es in diesem Sinn - hier das Wort Sinn schon nicht richtig ge­braucht - noch andere Sinne? Ja, es gibt noch einen neunten Sinn. Wir finden ihn, wenn wir uns überlegen, daß es allerdings im Men­schen noch eine gewisse Wahrnehmungsfähigkeit gibt. Das ist ganz besonders wichtig für die Fundamentierung der Anthroposophie. Es gibt eine Wahrnehmungsfähigkeit, die nicht auf dem Urteil beruht, aber doch in ihm vorhanden ist. Es ist dasjenige, was wir wahrneh­men, wenn wir durch die Sprache uns mit unseren Mitmenschen ver­ständigen. In dem Wahrnehmen dessen, was uns durch die Sprache gegeben ist, liegt nicht nur ein Ausdruck des Urteilens, sondern es liegt ein wirklicher Sprachsinn da zugrunde. Dieser Sprachsinn ist der neunte Sinn. Von ihm muß man sprechen, wie man von einem Gesichts- oder Geruchssinn spricht. Das Kind lernt sprechen, bevor es urteilen lernt. Das ganze Volk hat eine Sprache; das Urteilen obliegt dem einzelnen Menschen. Was zum Sinne spricht, unterliegt nicht der Seelentätigkeit des einzelnen Menschen. Das Hören kündet einem das innere Erzittern an. Die Wahrnehmung, daß ein Laut dieses oder jenes bedeutet, ist nicht bloßes Hören. Der Sinn, der sich darin als Sinn der Sprache ausdrückt, gibt sich eben einem ändern Sinne kund, dem Sprachsinn. Daher kann das Kind lange, bevor es urteilen lernt, sprechen oder Gesprochenes verstehen. Erst an der Sprache lernt es urteilen. Welcher Erzieher ist der Sprachsinn, geradeso wie der Ge­sichtssinn und der Gehörsinn solche Erzieher sind, während der er­sten Lebensjahre! Man kann an dem nichts ändern, was der Sinn wahrnimmt; man kann nichts daran verderben. Das ist ebenso bei der Farbe wie beim Wahrnehmen des Innern des Sprachlautes. Der Sprachsinn ist notwendig als ein besonderer Sinn zu bezeichnen. Er ist der neunte Sinn. . . . wenn wir in der Sprache das wahrnehmen, was sich durch den Laut offenbart. Es ist gewiß selbstverständlich, daß in der Auffassung eines Gesprochenen eine komplizierte Urteilstätigkeit, daß dabei umfassende Seelenverrichtungen in Betracht kommen, welche durchaus nicht mit dem Worte «Sinn» belegt werden können. Aber es gibt auf diesem Gebiete auch ein Einfaches, Unmittelbares, das genau so vor allem Urteilen eine Empfindung darstellt, wie eine Farbe, ein Wärmegrad eine solche ist. Ein Laut wird nicht bloß seinem Tonwert nach empfunden, sondern es wird mit ihm etwas viel Innerlicheres aufgefaßt, als es der Ton ist. Wenn man sagt, im Tone lebt die Seele eines Körpers, so kann man auch sagen, im Laut offenbart sich dieses Seelische so, daß es losgelöst, befreit vom Körperlichen, mit einer gewissen Selbständigkeit in die Erscheinung tritt. Weil die Lautempfindung vor dem Urteilen liegt, darum lernt das Kind früher die Lautbedeutungen der Worte empfinden, als es zum Gebrauche des Urteils kommt. An der Sprache lernt das Kind urteilen. Es ist durchaus gerechtfertigt, von einem besonderen Lautsinn oder Sprachsinn zu reden. Die Anerkennung dieses Sinnes macht nur aus dem Grunde Schwierigkeiten, weil zu der unmittelbaren Empfindung dessen, was im Laute sich offenbart, in der Regel die mannigfaltigste Urteilsbetätigung hinzutritt. Doch zeigt eine genaue Selbstbesinnung, daß allem Hören des in Lauten Gegebenen doch zum Grunde liegt ein ebensolch unmittelbares, urteilsfreies Verhältnis zu dem Wesen, von dem der Laut ausgeht, wie es der Fall ist, wenn ein Farbeneindruck wahrgenommen wird. Man erleichtert sich die Einsicht in diese Tatsache, wenn man sich vergegenwärtigt, wie ein Schmerzenslaut uns unmittelbar mitleben läßt den Schmerz eines Wesens, ohne daß sich erst irgendeine Überlegung oder dergleichen in die Wahrnehmung einmischt. - In Betracht kommt, daß der hörbare Laut nicht das einzige ist, wodurch sich dem Menschen eine solche Innerlichkeit offenbart, wie es beim Sprachlaut der Fall ist. Auch die Geste, Mimik, das Physiognomische führt zuletzt auf ein Einfaches, Unmittelbares, das ebenso in das Gebiet des Sprachsinnes gerechnet werden muß wie der Inhalt des hörbaren Lautes. Und noch intimer nimmt man wahr, wenn das Tönende Sinn enthält. Also Tonsinn:,Sprachsinn, Wortsinn könnten wir vielleicnt besser sagen. Es ist einfach unsinnig, wenn man glaubt, daß die Wahrnehmung des Wortes dasselbe ist wie die Wahrnehmung des Tones. Sie sind ebenso voneinander verschieden wie Geschmack und Gesicht. Im Ton nehmen wir zwar sehr das Innere der Außenwelt wahr, aber dieses Innere der Außenwelt muß sich noch mehr verinnerlichen, wenn der Ton sinnvoll zum Worte werden soll. Also noch intimer in die Außenwelt leben wir uns ein, wenn wir nicht bloß Tönendes durch den Hörsinn wahrnehmen, sondern wenn wir Sinnvolles durch den Wortsinn wahrnehmen.
Begriffs
sinn
Dann kommen wir zum zehnten der Sinne. Das ist derjenige, der für das gewöhnliche Menschenleben der höchste ist. Durch ihn wird der Mensch fähig, den Begriff, der sich in Sprachlaute kleidet, zu ver­stehen. Das ist geradeso ein Sinn wie jeder andere. Damit wir urteilen können, müssen wir Begriffe haben. Soll die Seele sich regen, so muß sie Begriffe wahrnehmen können. Dies vermag sie durch den Begriffssinn. So haben wir in ihm einen zehnten Sinn aufgezählt. In einem noch höheren Grade verbirgt sich der Sinnescharakter bei dem nächsten Sinn, der zu charakterisieren ist. Wenn man einen Menschen, der sich durch Lautsprache, Gestus usw. mitteilt, versteht, so wirkt in diesem Verständnis zwar vorwiegend das Urteil, Gedächtnis usw. Doch führt auch hier eine rechte Selbstbesinnung dazu, anzuerkennen, daß es ein unmittelbares Erfassen, Verstehen gibt, das allem Überlegen, Urteilen vorangehen kann. Ein Gefühl für diese Tatsache erlangt man am besten dadurch, daß man sich klar macht, wie man auch das verstehen kann, wofür man es noch gar nicht zu einer Urteilsfähigkeit gebracht hat. Es gibt nämlich eine ganz unmittelbare Wahrnehmung auch für das, was sich im Begriffe offenbart, so daß man von einem Begriffssinn sprechen muß. Der Mensch kann das, was er in eigener Seele als Begriff erleben kann, auch von einem fremden Wesen offenbarend empfangen. Durch die Wahrnehmung des Begriffes taucht man noch tiefer in das Innere eines Wesens als durch die Lautwahrnehmung. . . . . Der Mensch nimmt mit dem Begriffe, der in einem anderen Menschen lebt, dasjenige wahr, was in ihm selbst seelenhaft lebt. Aber wiederum, wenn ich das Wort wahrnehme, so lebe ich mich nicht so intim in das Objekt, in das äußere Wesen hinein, als wenn ich durch das Wort den Gedanken wahrnehme. Da unterscheiden die meisten Menschen schon nicht mehr. Aber es ist ein Unterschied zwischen dem Wahrnehmen des bloßen Wortes, des sinnvoll Tönenden, und dem realen Wahrnehmen des Gedankens hinter dem Worte. Das Wort nehmen Sie schließlich auch wahr, wenn es gelöst wird von dem Denker durch den Phonographen, oder selbst durch das Geschriebene. Aber im lebendigen Zusammenhange mit dem Wesen, das das Wort bildet, unmittelbar durch das Wort in das Wesen, in das denkende, vorstellende Wesen mich hineinversetzen, das erfordert noch einen tieferen Sinn als den gewöhnlichen Wortsinn, das erfordert den Denksinn, wie ich es nennen möchte.
Ichsinn Und ein noch intimeres Verhältnis zur Außenwelt als der Denksinn gibt uns derjenige Sinn, der es uns möglich macht, mit einem anderen Wesen so zu fühlen, sich eins zu wissen, daß man es wie sich selbst empfindet. Das ist, wenn man durch das Denken, durch das lebendige Denken, das einem das Wesen zuwendet, das Ich dieses Wesens wahrnimmt - der Ichsinn.